Sonntag, 25. Juni 2017

Harald Martenstein Erbschaftssteuer und Gerechtigkeit – eine Antwort


Ich gestehe, dass ich jede Woche mit als Erstes in der Printausgabe der Zeit die Kolumne von Harald Martenstein lese.  Und ich räume ein, dass er gut schreiben kann.  Der ganze Text ist derzeit noch hinter einer Paywall, deshalb kann ich ihn nicht verlinken. Er ist in der Printausgabe der Zeit vom 22. Juni 2017 veröffentlicht 

Harald Martenstein hat in seiner gekonnten Art eine Streitschrift gegen die Erbschaftsteuer geschrieben, die leider demagogisch, unsachlich und populistisch ist. 

Eine sachliche Diskussion über die Erbschafsteuer in unserer Gesellschaft ist dringend notwendig, dieser Text ist aber nicht dazu geeignet. 

Der Staat und Ich

Harald Martenstein  schreibt: „ Ich habe ein Problem mit der herrschenden Ideologie. Diese Ideologie besagt, dass niemanden von uns irgendwas wirklich gehört. Im Prinzip gehört alles dem Staat, und der Staat entscheidet darüber, was wir behalten dürfen“ 

Weiter schreibt er
„Der Staat gibt das Geld natürlich immer nur sinnvoll aus, für Schulen, für die Umwelt oder den immerwährenden Kampf gegen Ungerechtigkeit. Keinesfalls verpulvert der Staat Geld für Flughafenruinen, die niemals fertig werden, für die Rettung maroder Banken,  für Wahlgeschenke … “

Der erste Teil ist natürlich Quatsch. Denn wenn es tatsächliche die herrschende Ideologie wäre, dann würden wir nicht mehr über die Erbschaftsteuer diskutieren, dann hätten wir eine wirklich hohe Erbschaftsteuer. Warum denn dann diese Fehlaussage?  Um seine These, die später kommt, in die Rolle des vermeintlich Schwächeren zu setzen. 

Dann ist der Begriff Staat. Was und wer ist „der Staat“ So wie Harald Martenstein das Wort benutzt ist er negativ konnotiert.  Der Staat ist in dieser Sprechweise die Ansammlung von politische  Entscheidungsträgern und ausführenden Organen, die  gegen einen arbeiten.  Der Polizist, der mir eine Verwarnung ausstellt, weil ich wieder einmal 7km/h zu schnell gefahren bin, ist der Staat, aber der Polizist, der mir zu Hilfe kommt, wenn ich angegriffen werde, nicht.  Der Staat ist eine wunderbar amorphe Bezeichnung, gegen die man sich verbünden kann ohne definieren zu müssen, um wen es sich handelt.

Die Erwähnung der finanziellen Unzulänglichkeiten „des Staates“  habe in dieser Diskussion nicht zu suchen.  Es ist zweifelsfrei wahr, dass unterschiedliche Verwaltungen Geld gelinde gesagt aus dem Fenster geworfen haben. Nur stehen sie nicht alleine dar. Nur als Beispiel: Thyssen Krupp hat durch Fehlinvestitionen Milliardenverluste erzeugt. Nur dass auch im privatwirtschaftlichen Sektor Werte in Milliardenhöhe vernichtet werden, erwähnt Herr Martenstein nicht.  Nur kann man dieses Argument dann für jeder Form von Abgabe – Einkommenssteuer, Mehrwertsteuer etc.  verwenden. Warum es gerade für die Erbschaftsteuer herhalten soll – es ist nicht logisch, aber ungemein rhetorisch geschickt. 

 „L‘ etat c’est moi“ soll Ludwig XIV gesagt haben, in Zeiten der Demokratie muss es heißen: „L’etat  c’est nous“ der Staat sind wir. Aber da der Begriff Staat hier schon anders verwendet wurde,  möchte ich einen anderen Begriff benutzen – wir sind die Gesellschaft. Wir können es nicht vermeiden, wir sind ein Teil der Gesellschaft, jeder von uns, es sei denn man lebt alleine irgendwo im Dschungel oder auf einer einsamen Insel. Und irgendwie gehört alles somit Mitgliedern der Gesellschaft. 

Jede Gesellschaft hat eine Vielzahl geschriebener Gesetze und Konventionen nach denen diese Gesellschaft funktioniert.  Vieles ist unbewusst. Gerade das Geld ist ein Produkt dieser Regeln und Konventionen. Kaum jemand versteht wirklich was Geld eigentlich ist. Selbst viele Ökonomen nicht.  Und in dieser Gesellschaft übernehmen verschiedene Menschen verschiedenen Rollen und Aufgaben: politische Aufgaben, ökonomische Aufgaben, ordnungshütende Aufgaben  dieses kann man beliebig detaillieren. Und mit den Aufgaben kommen Privilegien und Pflichten. Teile dieser gesellschaftlichen Privilegien sind das Eigentum und wie es verteilt ist und wie es weiter gegeben wird. Es ist nur natürlich, dass die Gruppen, die über viel Eigentum verfügen, an diesen Privilegien festhalten wollen, und einiges spricht dafür, dass die Verteilung des Eigentums, wie es ist ein hohes Maß an Effizienz zur Folge hat. Eine Diskussion über die Weitergabe von Eigentum und der Pflichten die sich aus dem Eigentum ergeben ist  jedoch legitim und auch dringend notwendig. Das alles Eigentum letztlich der Gesellschaft gehört, ist im Sinne der Mengenlehre eine mathematisch korrekte Aussage.

Geld und das  Recht des Eigentums und den altruistischen Erben

Herr Martenstein verkürzt  die Erbschaftsteuer Diskussion auf Geld. Dies ist im Kontext des Textes gekonnt gemacht. Erbschaften umfassen aber nicht nur Geld, sondern auch die anderen Formen des Eigentums an Immobilien, Firmen, geistigem Eigentum, Kunstwerke. Man kann es auf den Geldwert reduzieren, aber man sollte es präziser als Eigentum bezeichnen. 

Er verkürzt es weil er im weiteren Text schreibt:  
„Ein reicher gesetzestreuer Mensch hat sein Geld versteuert (Anm.:  Denn er ist ehrenwert, das sind sie alle, alle ehrenwert) mit dem, was er behalten darf sollte er nach meinem Gerechtigkeitsempfinden tun dürfen, was er will. Zum Beispiel darf er sein Vermögen in Monte Carlo verzocken, das immerhin kann der Staat nicht verhindern.“

Wirklich? Wenn man Eigentum für Geld ersetzt würde der Sinn ergeben: … mit seinem Eigentum sollte jeder tun dürfen was er will …  In letzte Konsequenz heißt das, dass es in Ordnung ist, wenn ein Firmeneigentümer willkürlich eine Firma schließt, weil er keine Lust hat sie weiter zu führen, und somit Hunderte oder Tausende arbeitslos machen, oder wenn jemanden ein Cezanne oder Matisse gehört, so kann er ihn, aus lauter Jux und Tollerei einfach so verbrennen. Herr Martenstein schreibt von seinem Gerechtigkeitsempfinden.  Ich meine die Gesellschaft wäre entsetzt wenn jemand mit Werten so umgeht. Aber der Text hat die Erbschaftssteuer Diskussion auf das Geld verkürzt und somit kann Herr Martenstein damit rechnen für diese Aussage eine Zustimmung zu bekommen. Denn wer Geld verbrennt oder verzockt zerstört zunächst keine Werte. 

Dann weiter:
„Oder er vererbt es seinen Kindern. Und niemand kann, wenn man mal ehrlich ist, mit Gewissheit sagen, wer das Geld  sinnvoller ausgibt. Womöglich würden die Erben eine Stiftung zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit gründen, doch wegen der Erbschaftsteuer muss diese Idee leider verworfen werden, und der Staat steckt das Erbe in die Abfindung eines gescheiterten Berliner Flughafenmanagers“

Ich ziehe meinen Hut vor dieser argumentativen Brillanz. Eine rhetorische Frage, deren implizierte Antwort offensichtlich ist. Und der böse Staat verhindert mit der Erbschaftsteuer die altruistischen Erben – denn die Erben sind uneigennützig, das sind sie alle, alle uneigennützig - um damit seine Ineffizienz zu perpetuieren. Offen bleibt natürlich, warum in unserer Gesellschaft die Vermögensverteilung so ist, dass es einer Stiftung zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit bedarf und dass der Flughafen Manager dann am Ende zu denen gehört die dann seinen Erben ermöglicht altruistisch zu sein.

Da haben wir es: ein brillanter Text: „Der Staat“ , wer auch immer das sein mag, nicht in der Lage das Geld vernünftig zu nutzen,  will das versteuerte Vermögen – versteuert, denn es sind ja alles ehrenwerte Männer – wegnehmen um diese um Ihr Recht zu betrügen mit dem Geld zu machen was sie wollen.  Mit genau der Anzahl Wörter sodass  der Text Zeitmagazins passt mit Platz für eine amüsante Grafik. Jedes Wort gekonnt gesetzt. Mit einer Prise Sarkasmus und oberflächlich nicht wiederlegbar. Aber falsch. Im Detail, in der Juxtaposition. Letztlich Populismus unterster Schublade. 

Es gibt vieles, das potentiell gegen eine Erbschaftsteuer spräche, nicht zuletzt die Tatsache das Vermögenswerte abgezogen werden, um den laufenden Haushalt zu unterfüttern.  Aber wie hier diskutiert wird,  ist nicht produktiv oder zielführend. Im Rahmen der verstärkten Verlagerung von Vermögenswerten in unserer Gesellschaft auf eine kleiner werdende Gruppe und die damit verbundenen Ungleichheit und Sprengkraft für die Gesellschaft und Gefahr für die Demokratie  ist eine offene Diskussion notwendig. Ich sehe auch nicht in der Erbschaftssteuer eine Art Panacea  für die Schaffung von Gerechtigkeit. Aber, wenn es in unserer Gesellschaft endlich die überfällige Diskussion gibt, die die Rollen der verschiedenen Akteure und die Zuordnung der Ressourcen behandelt wird, wird eine Form von Erbschaftsteuer mit herauskommen, aber nicht um gescheiterten Flughafenmanagern Abhilfen zahlen zu können.